Über 15.000 italienische Männer sind im zweiten Weltkrieg nach Hamburg deportiert und hier als Zwangsarbeiter eingesetzt worden. Einer von ihnen war Marino Ruga (1920 – 2013). Als 23-Jähriger wurde er dem Wasserwerk Kaltehofe zugeteilt.
Tagebucheinträge im Video
Seine Erinnerungen hat Marino Ruga in Tagebuchnotizen festgehalten. Zum heutigen 8. September erinnern wir stellvertretend mit einem von Rugas Einträgen an dieses dunkle Kapitel unser Unternehmensgeschichte – gelesen vom Schauspieler Riccardo Ferreira und gezeichnet von der Hamburger Illustratorin Larissa Bertonasco.
Nach dem 8. September 1943, an dem Italien und die Alliierten Waffenstillstand geschlossen haben, deportierte die Wehrmacht Marino Ruga und seine Landsleute nach Deutschland. Über 200 von ihnen wurden in den Hamburger Wasserwerken eingesetzt. An ihr Schicksal erinnert auch ein Mahnmal auf dem Gelände der Wasserkunst Kaltehofe.
Die gesammelten Texte mit historischer Einordnung wurden 2023 von der Projektgruppe „IMI in Hamburg“ herausgegeben – und sind auf der Website der Initiative frei verfügbar.
Hamburg, 17. März 1943
Der Tag verlief ruhig. Wetter mittelmäßig (Nebel und Sonne). Vorläufig ist die Behandlung, die wir erhalten, nicht schlecht. Außer, dass wir in geschlossenen Räumen untergebracht sind, ohne Fenster, denn ansonsten wäre es kein Schutzraum51 mehr. Die Öfen funktionieren. Lebhafte Diskussionen, die das Morgen voraussagen, bleiben nicht aus, aber unsere Heimat, unsere Lieben sind in diesem Moment weit weg, und sie wissen nichts über unsere gegenwärtige Situation.
Weitere Diskussionen, die sich ergeben, sind die über Lebensmittel, der Hunger zwingt uns dazu. Heute spärliche Verpflegung, und morgen fange ich an zu arbeiten. Als ich einmal hinausging, um ein bisschen frische Luft zu schnappen, musste ich wieder einmal feststellen, dass zwischen diesen zerstörten Mauern nichts als Grabesstille herrscht, während man mit Ausnahme einiger Polizisten keine Menschen herumlaufen sieht. Das große Hamburg ist ein echter Friedhof (ist das in allen Teilen der Stadt so?).
Donnerstag, 11. November 1943
Sankt Martin ist ein trauriger Tag mit Regen und Kälte, und obendrein musste ich noch damit beginnen, weitere Ziegelsteine am Fluss zu entladen. Allgemeine Beschwerde aller Männer über die Unmöglichkeit, zu arbeiten. Einschüchterung und Drohungen von deutscher Seite, aber sie mussten sich damit abfinden.
In der Tat geben sie uns am Nachmittag Handschuhe, um unsere bereits aufgeschürften Hände zu schützen. Am Mittag und am Abend ausgezeichnetes Essen. Der Schwarzmarkt mit den internierten französischen, holländischen und anderen Arbeitern läuft weiter, aber es gelingt mir nicht, meinen Silberring zu verkaufen, mit dem ich seit einigen Tagen beharrlich zu handeln versuche.
Bei der Arbeit habe ich einen Mann aus Vintebbio getroffen, mit dem ich viel über unser Zuhause und die Dörfer rede. Sie haben uns heute Abend mitgeteilt, dass wir bald zweimal in der Woche nach Hause schreiben können. Hoffen wir: bald; wir müssen alle endlich, nach fast drei Monaten, Nachrichten an unsere Lieben in Italien senden können. Ich habe heute Abend zum ersten Mal, seit ich da bin, nach dem heutigen Voralarm fünf Minuten lang die Hamburger Flakartillerie in Aktion gehört, ohne dass jedoch bombardiert wurde.
Hamburg, 27. März 1945
Seit Tagen entfesselt sich ein schreckliches Wüten feindlicher Flugzeuge ohne Pause und Hindernisse. Zwölf Minuten vor ihrer Ankunft findet die Bevölkerung Zuflucht in den Schutzräumen, von denen viele sicher oder fast sicher sind.
In den Räumen hinter eisernen und hermetisch verschlossenen Türen eingeschlossen, warten alle verängstigt und mit Herzrasen auf die ersten Einschläge oder besser das erste massenhafte Donnern. Die ersten Bomben fallen mit einer immer größer werdenden Gewalt und sind auch im Schutz der Betonmauern zu spüren.
Schrecklich ist die Luftverdrängung oder Luftreibung, die durch die Bomben verursacht wird, die im Begriff sind, den Boden zu berühren. Nach den Explosionen findet nun das einzigartigste und eindrucksvollste Ereignis statt. Der Schutzraum wird wie ein Baum vom Wind geschüttelt. Es scheint, dass er umkippen oder zerschellen müsse, wer in diesem Moment an der Wand lehnt, würde sie sich biegen spüren mit der Elastizität eines Astes, der vom Wind gebogen wird.
All dies geschieht innerhalb weniger Sekunden, vielleicht 30, aber die Nervenanspannung aller ist riesig. Während die Ohren höchst gespitzt sind, die Herzen angstvoll pochen, die Augen aller aus den Augenhöhlen hervortreten, werden einige Frauen, überwältigt vor Aufregung, ohnmächtig.
Die erste Formation ist vorüber, die erste Gefahr ist vergangen, aber nun, nach einigen Minuten, kündigt das immer noch laufende Radio die Ankunft anderer Formationen an. Weiteres Pfeifen, weitere Bomben, weiteres Dröhnen, und die Herzen zittern. Während des Wartens hat man tausend Gedanken und Vorahnungen, aber eine außergewöhnlich große Freude hat uns ergriffen und macht uns, wegen der Gefahr, der wir wieder einmal entronnen sind, glücklich.