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Wegbereiter des Wandels

Unter unseren Füßen sorgen riesige Kanäle seit etwa 180 Jahren dafür, dass Hamburg nicht absäuft. Aber auch sie müssen mal saniert werden.

Autor des Inhalts: HAMBURG WASSER. Datum der Veröffentlichung:

Noch vor 200 Jahren gab es keine verlässlichen und flächendeckenden Systeme für die Abwasserentsorgung oder die Trinkwasserversorgung.

Üblicherweise schütteten die Menschen ihre Fäkalien (und andere Abfälle) einfach auf die Straße oder in die Fleete, die Alster oder Elbe. Da die Menschen in der Hansestadt aus beiden Fließgewässern ihr Trinkwasser entnahmen, waren Erkrankungen und Epidemien unausweichlich. Vereinzelt wurden Fäkalien gesammelt und mit sogenannten Kummerwagen aus der Stadt gefahren – eine Arbeit, die Straffällige verrichten mussten.

Der Große Brand 1842

Welche fatalen Folgen diese unzureichende Versorgung hatte, sollte sich auf tragische Weise im Jahre 1842 zeigen.

Am 5. Mai 1842 brach in der Deichstraße ein Feuer aus, das drei Tage lang wütete und große Teile der Innenstadt zerstörte. Ein Fünftel der Stadt wurde verwüstet und 51 Menschen starben in den Flammen. Mehr als 20.000 Menschen wurden obdachlos. Die flächendeckende Zerstörung bot die Gelegenheit, die Stadt völlig neu zu planen und damit als Vorreiter auf dem europäischen Kontinent das Zeitalter der Moderne einzuläuten

Wiederaufbau mit Ingenieurswissen

Portraitbild des britischen Ingenieur William Lindley, aufgenommen 1879
Der britische Ingenieur William Lindley, aufgenommen 1879

Unmittelbar nach dem Brand beauftragte der Hamburger Senat den englischen Ingenieur William Lindley damit, einen Wiederaufbauplan zu erstellen. Lindley legte einen Plan vor, der am 1. September 1842 genehmigt wurde. Dieser umfasste sowohl eine zentrale Trinkwasserversorgung als auch eine flächendeckende Entwässerung über eine Kanalisation im Freigefälle. Bereits im November 1842 erfolgte der erste Spatenstich für die Kanalisation in der Straße Große Bleichen.

Hamburg wurde damit die erste Stadt auf dem europäischen Kontinent mit einer modernen Kanalisation und einer zentralen Wasserversorgung.

Gemauerte Siele entwässern Hamburg

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Lindleys Ausbaupläne weitgehend abgeschlossen.

Historische Karte des Versorgungsnetzes der Hamburger Stadtwasserkunst 1864
Versorgungsnetz der Hamburger Stadtwasserkunst 1864

Insgesamt entstanden rund 900 Kilometer gemauerter Siele. Die neu errichteten mächtigen Stammsiele entwässerten Hamburg und große Teile der damaligen Vorstädte wie Winterhude und Wandsbek. Ihre Fließrichtung kannte nur ein Ziel: die Hafenstraße.

Dort befand sich die sogenannte Sielausmündung. Da es noch kein Klärwerk gab, wurde das Abwasser hier in die Elbe entlassen. Die einzige Reinigung bestand darin, dass es zuvor einen mechanischen Rechen durchfloss, der Feststoffe herausholte. Das Rechengut wurde dann auf Schuten verladen und ein Stück weiter flussabwärts in der Elbe verklappt.

Auch wenn uns heute nicht mehr sehr innovativ erscheinen mag, aber verglichen mit der unkontrollierten Abwasserentsorgung der Jahrhunderte davor war der Bau der gemauerten Siele ein Riesenfortschritt.

Alte Riesen unter uns

Blick in die Zusammenführung der Stammsiele unter dem Pumpwerk Hafenstraße
Blick in die Zusammenführung der Stammsiele unter dem Pumpwerk Hafenstraße (Foto: Krafft Angerer / HW)

Wenn wir auf unser heutiges rund 6.000 Kilometer langes Abwassernetz blicken, sehen wir, dass wir viele der alten Siele durch neue ersetzt haben.

Von den historischen gemauerten Sielen sind aber noch gut 250 Kilometer übrig. Sie machen zwar nur knapp fünf Prozent unseres Sielnetzes aus, aber bei mannshohen Durchmessern zwischen 1,5 und 4,7 Metern bilden diese "Alten Riesen" im Prinzip das Rückgrat der Kanalisation. Sie tragen mit ihrer enormen Größe gerade im Starkregenfall dazu bei, dass die Innenstadt nicht absäuft.

Diese Bedeutung nimmt angesichts des Klimawandels sogar noch zu. Es ist daher unerlässlich, die alten Siele zu erhalten. Sie zu sanieren ist aufgrund ihres Alters und ihrer geographischen Lage in der Stadt ein umfassendes Programm, das im Grunde eine Generationenaufgabe ist.

Generationenaufgabe Sanierung der Stammsiele

Um die "Alten Riesen" sanieren zu können, brauchen wir Ersatz.

Vortriebsmaschine Milena und Rohrelement Sammler Ost (Foto: Caren Krüger / HW)

Bei Großprojekten wie dem Ausbau der Autobahn A7 ist es ganz normal, Fahrbahnen für eine gewisse Zeit voll zu sperren oder über einen längeren Zeitraum nur eingeschränkt nutzbar zu machen. Das nehmen Sie zähneknirschend hin. Bei so großen Abwasserkanälen wie unseren Alten Riesen geht das nicht. Es ist schlichtweg nicht möglich. Würde wir eines unserer drei Stammsiele, das Kuhmühlenstammsiel für ein Wochenende aus dem Netz nehmen, würden die Bewohner St.Georgs spätestens am Samstagabend bei uns anrufen, weil das Abwasser aus der Toilette zurückläuft – falls es stark regnet sogar noch früher.

Deshalb haben wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten erst einmal Ersatz bauen müssen: Kilometer um Kilometer entstanden neue Transportsiele und Sammler – quasi unsere "Jungen Riesen". Diese neuen Siele verlaufen an vielen Stellen in unmittelbarer Nähe zu den alten Stammsielen und sind so gebaut, dass sie deren Abwasser übernehmen können.

Kapazitätserweiterung gegen Klimafolgen

Diese "Jungen Riesen" ermöglichen es damit im ersten Schritt, die "Alten Riesen" außer Betrieb zu nehmen und zu sanieren. Auf lange Sicht helfen sie außerdem, Hamburg auf Klimafolgen vorzubereiten. Denn im Endzustand werden wir beide Systeme nutzen können: Die Alten Riesen und die Jungen Riesen. Wir vergrößern dadurch die Kapazität in unserem Netz um bis zu 9.000 Kubikmeter. Damit machen wir Hamburg robuster gegen Starkregenfolgen.

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